**Der gesetzliche Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs unterliegt der Verjährung**
Der Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegt einer Verjährungsfrist von drei Jahren. Diese Frist beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Allerdings konnte diese Verjährungsfrist vor dem Ende des Jahres 2018 nicht beginnen, falls das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 6. November 2018* endete und es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar war, Klage auf Abgeltung zu erheben.
**Sachverhalt — Klage auf Urlaubsabgeltung vor dem Bundesarbeitsgericht**
In dem vorliegenden Fall betreibt die Beklagte eine Flugschule, bei der der Kläger seit dem 9. Juni 2010 als Ausbildungsleiter angestellt war. Trotz seiner Beschäftigung wurde ihm sein jährlicher Urlaub von 30 Arbeitstagen nicht gewährt. Nachdem sich die Parteien am 19. Oktober 2015 darauf verständigt hatten, dass der Kläger fortan als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig sein sollte, erhob der Kläger im August 2019 Klage auf Abgeltung des Urlaubs aus seiner Zeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte argumentierte jedoch, dass die Ansprüche des Klägers verjährt seien.
**Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts**
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Allerdings hatte die Revision des Klägers Erfolg vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts, soweit es um die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 Euro ging. Hinsichtlich der Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 war die Klage jedoch nicht erfolgreich.
Das Bundesarbeitsgericht entschied in seinem Urteil vom 20. Dezember 2022 (Aktenzeichen: 9 AZR 266/20), dass die Verjährungsfrist für Urlaubsansprüche erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen auffordert, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Falls der Arbeitgeber diesen Obliegenheiten nicht nachkommt, können die nicht erfüllten Urlaubsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und sind bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
Die Verjährungsfrist für den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs beginnt hingegen in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten. Im Gegensatz zum eigentlichen Urlaubsanspruch, der eine Freistellung von der Arbeit mit Fortzahlung der Vergütung vorsieht, ist der Urlaubsabgeltungsanspruch lediglich auf eine finanzielle Kompensation beschränkt. Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, die der EuGH bei der Inanspruchnahme von Urlaub betont, endet mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses.
**Auswirkungen auf den konkreten Fall**
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19. Oktober 2015 konnte vom Kläger nicht erwartet werden, dass er seinen Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchsetzt. Zu diesem Zeitpunkt ging das Bundesarbeitsgericht noch davon aus, dass Urlaubsansprüche automatisch mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfielen, unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten. Erst nach dem Urteil des EuGH vom 6. November 2018 war der Kläger verpflichtet, die Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.
Dagegen ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung des Urlaubs aus dem Jahr 2015 verjährt. Bereits basierend auf der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte den Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis endete, hätte abgelten müssen. Die dreijährige Verjährungsfrist begann somit Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Da der Kläger die Klage erst im Jahr 2019 erhob, war der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs aus dem Jahr 2015 verjährt.
**Fazit**
Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Urteil klargestellt, dass der Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Verjährung unterliegt. Die Verjährungsfrist beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet. Jedoch kann die Verjährungsfrist erst am Ende des Jahres beginnen, in dem der Arbeitnehmer über seinen Urlaubsanspruch informiert und zur Urlaubsnahme aufgefordert wurde, falls der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt. Insgesamt zeigt dieses Urteil die Bedeutung einer frühzeitigen Klageerhebung für die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung.
*Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 456/20 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 20. August 2020 5 Sa 614/20*
*EuGH vom 6. November 2018 – C‑684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]*
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